Wanderung zur Woche der seelischen Gesundheit 2020.
Nach schönen Wanderungen stellt sich oft über Tage hinweg ein glückliches und erhabenes Gefühl ein. Wir waren in Natur, draußen, wohin man auch blickte: strahlendes Herbstlaub in den Wipfeln und Sträuchern, Wildwuchs in den Himmel, Stämme, die im Winde wiegten, knospenbespickte Äste. Manchmal Regen, manchmal Sonne. Wir sahen auf unsere Schuhe herab, den Waldboden um uns, das Moos und die Erde, die Feuchtigkeit. Ist man einmal draußen, sieht es anders aus als von drinnen und aus der Vorstellung früh am Morgen: Wie wird es wohl nachher sein, wenn ich rausgehe?
Es gibt viele Texte, in denen man lesen kann, was das Wandern mit einem macht. Und Sie kennen es: Nicht immer fühlt man sich angesprochen. Was man wie draußen erlebt, ist immer anders. Und wie will man in Worte fassen, was einem eigentlich körperlich widerfährt? Die Sonne war schön, und es war alles Grün – das stimmt schon. Wir waren glücklich und freuten uns an den schönen Gesprächen – das stimmt auch und steht auch so in jeder Zeitschrift zum Thema. Da ist aber oft noch mehr.
Du gehst durch bekannte Gassen und Straßen, durch weniger werdende Häuser hindurch, auf weniger Asphalt. Man hört zu und redet, immer mehr, anfangs Gekonntes, später Spontanes und immer darüber, was man schön findet und was nicht. Und die letzten Tage ziehen an dem inneren Auge vorbei, die letzten Stimmungen, Freuden, Überraschungen, Begegnungen, Hoffnungen, Verletzungen, Sehnsüchte, auch Ängste. Irgendwann erzählt man diese besonders freudigen Dinge, und die belastenden, weil sich das im Gehen und in der Natur gut sagen lässt. Und man hört von anderen Dinge, die sie sonst seltener sagen, und die sich ehrlich anhören. Und dann fühlt man etwas Wichtiges, was in keiner Zeitschrift sonst steht: Dankbarkeit.
Man beginnt sich auf einer banalen Wanderung als richtiger Mensch zu fühlen. Abseits des Tages und des Bekannten. Mittendrin im Neuen und Unbekannten, zwischen knisternden Ästen, Wind und Rauschen, ausgewaschenen Bachkehlen, mit Ausrutschern, Hilfestellungen, Laubbergen, Umwegen und Unwegen, mit dem eigenen Weg. Wir lassen uns treiben und stellen überrascht fest, dass es überall Wege gibt. Und auf einem Berg bereiteten wir im Angesicht der Welt unsere Tafel. Okay – es ist Pandemiezeit und jeder isst aus der eigenen Tasche. Aber wenn das Essen vorher gründlich und zeitaufwändig vorbereitet, ergibt sich der eigentümliche Effekt, dass man sich beschenkt fühlt. Man fühlt eine Achtung gegenüber sich selbst, und sieht es bei den anderen. Wir schenkten ein und fühlten uns beschenkt, Dutzendemal.
Es sollte ein für alle unbekanntes Wegstück dabei sein, wenn man sich aufmacht. Man kommt so schneller in den Geschmack des Unwägbaren, in einen Zustand der Liminalität. Auch nur ein körperlich erlebbares Gefühl, schlecht zu beschreiben. Aber eher tauchen dann auch die wesentlichen Fragen auf, ohne das man es merkt: Was mache ich? Warum, wieso und mit wem?
Hintergrund dieses Geschehens ist das menschliche Funktionieren. Der Mensch ist Teil der Natur und funktioniert auch entsprechend. Zum Grundgerüst gehören: Bewegung und Frischluft, Hungergefühl und Essenkönnen, Reden und Gehörtwerden, Spannung und Sicherheit, Angenommenwerden und Annehmen.
Mehrere Tage lang fühlt man sich belebt, erheitert, genährt, erholt und erfrischt, dankbar und beschenkt, weil man das erlebt hat. Wenn man über sich erzählt hat, den anderen zuhörte. Und dabei immer ging und alles betrachtete. Wie heißt es wissenschaftlich? Biographien zeigen die wichtigsten Stationen der Welterfahrung, verpackt als authentische Erzählungen. Im Gehen kann man sehr gut über das Leben berichten. In einem Naturraum assoziiert man zudem diese Erfahrungen in die Umgebung – ohne dass man im Schlechten stehenbleibt, wie es einem im Alltag eher passieren kann. Na dann also! Und da haben wir es wieder: Bis bald auf dem Weg.
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