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Reisetipp: Trampen

17. Sep 2014 Erwartungen, die schrumpfen, und wenn sie ganz klein geschrumpft sind, kommt ein Ereignis, dass alles entschädigt. Und nie zu wissen, wann. Dass das ein Bild für Leben an sich ist, kommt mir erst jetzt in den Sinn. Doch es wird von unserer alltäglichen Erzählroutine nicht erkannt. Man kann es häufig auf Reisen oder beim Wandern erfahren, und je archaischer man unterwegs ist, desto stärker fühlt man es. Probieren Sie es. Das Trampen, das von dem ‚Rainbow Gathering‘ im August in Rumänien seinen Anfang nahm, verdient dadurch seinen eigenen Bericht. Schon nach den ersten Metern, die ich auf der Straße gegangen war, streckte ich am laufenden Band den Daumen raus und versuchte, Blicke und Gesten der Fahrenden zu erhaschen. Die Information über Rumänien und Trampen war die, dass es hier einfach sei, mitgenommen zu werden, und dass ein kleines Entgelt wegen der Benzinkosten angemessen ist. Eigentlich ist das Trampen, also das unentgeltliche Mitgenommenwerden in Fahrzeugen anderer, ein Reisen, bei dem man nicht weiß, wo man ankommt, wann das sein wird. Am ehesten bestimmbar ist, welche Route man fährt. Es lässt sich nicht sagen, wie lange man wartet oder welche Wartezeiten wo bestehen, wo man schläft und wann isst oder seine Zähne putzt. Eigentlich schien es mit den Erfahrungen der zwei Wochen in Rumänien schnell machbar: Zum Beispiel als es nach Huedin ging, und ein LKW-Fahrer schon durch eben diesen Ort fuhr – an dem ich auch am Abfahrtstag wieder durch musste – und prompt hielt. Im Tempo 30 war es durch die Landschaft gegangen, auf und ab wiegend im Sitz, aneinander kein Wort verstehend und daher schweigend. Und in der Instrumententafel lauter leuchtende Warnlämpchen. Nun gut, wir fuhren entsprechend langsam. An der Kreuzung zur Hauptstraße ein kurzes Schämen: kein Geld im Portemonnaie, zeigte ich dies dem Fahrer, radebrechte irgendwelche Begriffe, bot vom Tabakbeutel an, alles ein Kopfschütteln wie von Nichtverstehen auslösend. Schließlich noch ein herzliches Dankeschön gestikuliert, und abgesessen. Kaum auf der Straße ein Auto dahinter, was mein Aussteigen und das Freiwerden der Straße abwarten musste. Ob er mich einsteigen ließ, weil er nicht fort konnte, weiß ich nicht. Ein Italiener, der die letzten Kilometer wohl mit der Liebsten telefonierte, von seinem Bruder erzählte, dass er in London sei. Die letzten 15 Sekunden des Telefonats bestanden nur aus gehauchten liebevollen Abschiedsworten. Mehr als Deutschland, London, Arrividerci und gracia mille konnten wir einander nicht verstehen. Die Rückfahrt dann schon etwas länger dauernd, eine Stunde an der Ausfahrtstraße stehend, hielt ein englisch sprechender Autofahrer, der sich die ganze Zeit für ‚Rainbow‘ und das Drumherum interessierte. Sogar so sehr, dass er mit zum Parkplatz fuhr. Aber aussteigen und mit in das Camp kommen konnte er nicht. Er dürfe sein Auto nicht verlassen, was er zuerst durch das Zeigen einer Pistole in der Tasche neben ihm verdeutlichte (ich sah nur den schwarzen Hahn), und später durch die Erklärung, dass er Geld transportiere, erklärte. Aber der Funke des Interesses hatte gesessen, er wolle wiederkommen. Mit diesen positiven Erwartungen stand ich dann nun am Abfahrtstag an der Straße und hielt frohgemut den Daumen heraus, wenn ich Motoren von hinten hörte. Nach einem Snack im Ortszentrum und dem Kauf eines Glases Schmand-Sauermilch (wenn ich es recht schmeckte) war es ein Familienvater mit Tochter, die bis zur Kreuzung an der Hauptstraße fuhren und mich absetzten. Einmal an der Hauptstraße Richtung Grenze wird es schnell gehen, dachte ich. Und dann wurden es vier Stunden. Das Negative am Trampen, die ständigen monotonen Autogeräusche, vergaß ich nach und nach an den Folgetagen. Der nächste Fahrer, wieder gut Englisch unterwegs, mit liberaler Einstellung, und der Meinung, dass Roma wirklich – wahrhaftig habe er dies gehört (kulturwissenschaftliche Erzählforschung) – eben nur mit krummen Geschäften ihr Geld verdienen, Autoklau im Ausland, Schieberei, und so weiter. Wir unterhielten uns über das Trampen und verwechselten ständig die Worte hitch hiking und highjacking. Wurde mir erst später klar. Ein entspanntes, teils schnelles – aber vorsichtig schnelles Fahren (seinen letzten Bußgeldbescheid zeigte er mir) – bis auf die Umgehungsstraße von Oradea. Kurz vor der Grenze. Und wieder die Erwartung, schnell wegzukommen, und nach zwei Stunden eine volle Familienkarre aus Ungarn, bereit, einen mit über die Grenze zu nehmen. Die Rumänen seien nicht freizügig mit den Trampern, meinte der Familienfahrer, die Ungarn seien da herzlicher (der nächste Tag zeigte das nicht). Vierhundert Meter Laufen bis zu einem LKW-Rasthof auf ungarischer Seite, mit hohen Preisen in der Gaststätte. Mehrere Rückreisende des Rainbowtreffens: ein Pärchen, das einen freundlichen Truckfahrer gefunden hatte, der sie direkt mit in ihre Heimat Polen nehmen wollte anderntags. Dazu eine Mutter mit ihrer 7jährigen Tochter. Wir bildeten eine kleine Zeltgruppe für die Nacht. Früh waren die ersten schon aufgebrochen, der Parkplatz leer, und es stellte sich im Gespräch heraus, dass Frau samt Tochter eigentlich nicht trampen wollten, und nach fünf Stunden Warten – an diesem ‚Tag Zwei‘ – das ganze abbrachen. Einen Kleinbus nach Brüssel habe sie eigentlich am Vortag schon nehmen wollen, aber die Abfahrtsstelle nicht gefunden. Vier Busse sollten eigentlich jeden Tag fahren, laut Internet. Von Oradea aus direkt nach Brüssel in 20 bis 22 Stunden Fahrtzeit, das ist schon beachtlich, doch erkennen muss man sie! Da am Telefon alle nur rumänisch sprachen, bildeten wir am Rasthof eine Helferkette. Sie mit meinem Telefon ein haltendes Pärchen auf Englisch bittend, sich doch bitte auf Rumänisch nach der Bushaltestelle in Oradea zu erkundigen, dazwischen die Tochter auf französisch beruhigend. Hin und her: eine halbe Stunde später wurden sie zum nächsten ungarischen Bahnhof mitgenommen, um per Zug nach Budapest zu kommen. Nach der Zeltnacht jedenfalls, als die Sonne in einem überblauen Himmel in der Puszta aufging und höher stieg, hoffte ich unltraschnell an der Transitstrecke weiter zu kommen. Am Vortag hatte es für hundert Kilometer Strecke einen Tag gebraucht. Zeltbepackt und Zahngeputzt stand ich von 07.00 bis 13.30 Uhr. Unvorstellbar nun, nie dem Krach der LKWs zu entkommen. Ein zunehmendes Spannen auf der Gesichtshaut und den Armen. Sonnenbrand. Am anderen Straßenrand eine Gruppe Arbeiter, die mit Sensen eine halbe Stunde den Straßengraben hauten, dann eine knappe Stunde ruhten. Die Worte des letzten Fahrers vom Vorabend im Ohr, dass man in Ungarn schneller unterwegs sei. Die Pausen zwischendurch: das rumänische Weißbrot, mit einer Schicht saurer Sahne, Gewürzen, Paprika, Knoblauch – ein Gedicht an Wonne in der Erinnerung. Denn es ging schließlich doch gut weiter. Irgendwann hielt ein Transporter, leer bis auf den Fahrer, der eine Kindergruppe in die Ferien irgendwohin gebracht hatte, und der dann, wenn er in Budapest ankomme, 800 Kilometer an diesem Tag hinter sich habe. Trotz der vielen Fahrtzeit war das typisch rumänisch-ungarische Fahren (siehe anderen Blogeintrag) möglich, jetzt aber schon Gewohnheit. Lücken schnippeln. Mit rechts telefonieren und mit der linken Hand rübergreifend schalten. Dabei Erzählungen aus dem Leben: Musiklehrer sei er, habe sich seit einiger Zeit seinen Traum erfüllt, einen Bauernhof zu kaufen und nun zunehmend autark zu wirtschaften. Zwanzig Jahre habe er auf den Kauf gewartet. Eine Pinkelpause entlang der Landstraße, wo er nach dem Anhalten und meinem Türöffnen mit fast einladender Geste etwas von schöner ungarischer Natur sagte, und ich hinter dem Busch in einem ungefähr drei Jahre alten Müllhaufen stand, eine Maus verscheuchend. Aber es war dennoch alles herzlich, sonnenverbrannt, warm, herzlich. Mit Orten voller deutscher Schrift: Ferienwohnung frei, Pension, und Langos. Und endlose Straßen, und Weite, und Gerede, unvergesslich das alles. Und es war wie immer, wenn man eine Zeitlang gemeinsam unterwegs ist, wie beim Wandern selbst: er setzte mich auf einer Raststätte auf der Umgehungsautobahn unterhalb (= Kartenblick) Budapest ab, voll netter Worte tauschten wir Grüße und Dank und verabschiedeten uns. Um sofort ein Messerset, eine Uhr und irgendwas von umherlaufenden Verkäufern angeboten zu bekommen, in der Annahme, dass wir Touristen seien, die da ankommen und Geld haben. In der Tankstellenraststätte kein Tabak und keine Zigaretten. Alles only in the City meinte die Verkäuferin. Viele Truckfahrer, die alle woandershin fuhren, immer mit dem Finger in die Gegenrichtung zeigten. Ein weiterer Snack mit Weißbrot und dem schon Erwähnten, Zwiebel in Scheiben dazu erwähnte ich noch nicht. Und schnell ein Anhaltender, plötzlich aus dem Nichts, als die Erwartung, an den Hauptstraßen würde schon jemand anhalten, in den letzten anderthalb Tagen geschmolzen war. Nur zehn Kilometer, aber mit einer Herzlichkeit, die alles wett machte. Der Rasthof dann, östlich von Budapest, fast komplett eingedeutscht. Essen bis zum Umfallen für 7 € mit Kartenzahlung. Dann, nach einer Pause und einer halben Stunde Warten, und einer Überlegungskette – ob vielleicht hier schlafen oder weiterfahren – ein Fahrunternehmer. Hatte an diesem Tag schon einen Transporter voll Fahrtgäste irgendwohin gefahren, englisch sprechend, düsten wir in den zunehmenden Abend und die beginnende Nacht. Irgendwann eine Grenze, Durchfahrt, dann größer werdende Ortslichter, eine ferne, noch klein wirkende angeleuchtete Burg: das wurde Bratislava. Irgendwann eingenickt, dann durch die Lichterkette der nun alles einehmenden Stadt gefahren, die Burg als großes hell angeleuchtetes Schloss neben dem Fluss gesehen, und ausgesetzt an der ersten Tankstelle, nachdem sich alle in den Norden, Richtung Brno und Prag, führenden Autobahnen vereinigt hatten. Bratislava also, in der Nacht. Im Bistro der Tankstelle wurde laute Musik gehört, meinen Schlückchenkaffee – ein bisschen mehr war jetzt schon drin, wohl weil es westliche Automaten waren – schüttete ich ungelenk zur Hälfte gegen den Tresen. Das Bewusstsein der hier zu verbringenden Nacht, im hinteren Bereich des Geländes, zwischen Rasttischen, war nicht schlimm. Doch schlimm wurden die Mücken und Fliegen oder was auch immer auf meine Haut, in meinem Schlafsack wollte. Hundert Mal aufgewacht? Irgendwann in der Nacht, geweckt durch Trippeln auf dem Kies, rauchte ich und beobachtete ein sonderbar und gefährlich aussehendes Pärchen. Sie stand auf der Bank, er vor der Bank. beide schauten sich ins Angesicht. Sie mit der Figur eines Kindes, er hünenhaft und unbehaart mit nacktem Oberkörper und nacktem Kopf. Ein wenig gruselte es mir schon, eventuell plötzlich als ein Hingucker entlarvt zu werden, denn das Bild war brachial: seine Hand überdeckte ihr ganzes Gesäß, seine Oberarme als auch seine Brustmuskeln waren dicker und ausgeprägter als ihre Oberschenkel und Pendants. Doch irgendwann verschwanden sie im Auto, nichts wackelte, obwohl ein paar Lachen nach außen drangen, und fuhren irgendwann ab. Der Morgen schön, der Kaffee heiss im Bistro, wartete ich dann auf einer Tankstelle, an der alle zehn Minuten nur EIN Auto auffuhr. Je mehr Erwartungen und Prädikate man an seine Abfahrtstelle hat, desto schlechter wurde sie, dachte ich. Und sah die nächsten Tramper ankommen, ein Pärchen, dass die Tankstelle als Abfahrtsort empfohlen bekommen hatte. Und so ein bissel ein Beobachten setzte ein. Ging ich nicht zu einem Fahrer, um nach der Richtung zu fragen, taten sie es. Wenn man es nicht nutzt, eben. Und dann noch ein einzelner Tramper, der in seinem alten mitgenommenem Wegwerfgrill ein Feuer entzünden wollte – es qualmte schon. Drei Meter neben dem Tanklager, und fünf Meter neben den Zapfsäulen. Die schimpfende Mitarbeiterin, die er so anzog, wartete, bis er alles weg genommen hatte. Dann eine fünfte Tramperin. Und ich dachte: wann komme ich weg? Schließlich ein LKW-Fahrer, der einen anderen nicht mitnehmen wollte, und dafür dann mich (wenn er schon fast so zur Mitnahme ‚genötigt‘ wird), und der in einer Fahrt bis auf eine Raststätte nach Dresden fuhr. Dort ein mit ausländischem Dialekt sprechender Fahrer, der direkt nach Jena fuhr, früh in Warschau gestartet, gesamt 1400 Kilometer Strecke, schon 500 hinter sich habend … Worauf ich hinaus will: man weiß nicht und niemals, wann und wo und wie man vorwärts kommt. Und gerade das löst ein derart großes positives Gefühl aus, und macht diese Form des Reisens wert zu pflegen. Früh in Bratislava, abends in Jena, an der gleichen Stelle, an der es vor gut zwei Wochen losgegangen war. Früh der Truckfahrer, aus Ungarn, also genau die Sprache, für die ich kein Wörterbuch mithatte. Was für eine komplett fehlende Kommunikation sorgte. Der dann irgendwann Radio einschaltete, laute und schnelle und aufgedrehte Sender. Der aber irgendwann Zigaretten anbot, mit dem man sich per Gestik verständigte … der irgendwann ein anderer wurde. Bei Prag ein Kaffee aus dem Automaten, dann er von mir eingeladen. Das gemeinsame Warten bei dieser durch die Fahrtzeit bedingten Zwangspause, in der die Autobahnpolizei von Truck zu Truck ging und klopfte und Papiere verlangte. Wir warteten abseits. Auch das Wenige an Kommunikation wurde dann mehr, wurde eine Sprache aus Zeigen und wertenden Geräuschen, und Geräuschen des Zustimmens, und das verband irgendwann. Ich gab ihm ein wenig Geld zum Schluss bei Dresden, er wollte nicht, nahm es aber. Und er kam dann, zwei Minuten später, mit den überreifen Pfirsichen aus Ungarn nochmal herüber, und wir lachten und freuten uns, einen doch so angenehmen Tag gefunden zu haben. Erwartungen, die schrumpfen, und wenn sie ganz klein geschrumpft sind, kommt ein Ereignis, dass alles entschädigt. Und nie zu wissen, wann. Dass das ein Bild für Leben an sich ist, kommt mir erst jetzt in den Sinn. Doch es wird von unserer alltäglichen Erzählroutine nicht erkannt. Man kann es nur auf Reisen oder beim Wandern erfahren, und je archaischer man unterwegs ist, desto stärker erfährt man es. Probieren Sie es.

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