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Rothenstein Tagestour


Und wieder ging es auf ins Grüne, am 15.07.2014, zu Dritt nach Rothenstein, den ehemaligen Truppenübungsplatz der GSSD/WGT (= Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, Westgruppe der Truppen), mittlerweile wohl Sukzessionsfläche oder bewirtschaftet, zu besuchen. Rothenstein, bekannt vor allem durch den Trompeterfelsen, der, gesehen von der Bundesstraße B 88 aus, auch aufgrund des davor liegenden ehemaligen militärischen Areals (NVA/Bundeswehr) auffällt. Doch dieses Teilobjekt des ehemaligen Komplexlagers 22 der NVA war nicht das Hauptziel, wir wollten hinauf und dahinter. Die Gegend um Rothenstein entpuppte sich als wunderschön. Gerahmt von Bergen existieren mehrere einander zuführende Taleinschnitte, die teils noch tiefe Gräben in Richtung Saale ausbilden. Läuft man vom Parkplatz eines Möbeldiscounters her in Richtung Bastei – einem von der Interessengemeinschaft Rothensteiner Felsen e. V. wieder hergerichteten Aussichtspunkt – passiert man skuril wirkende Überreste, die an eine Verankerung eines Transportsystems denken lassen. Nur die wenigen hundert Meter reichten, um uns des Alltags enthoben zu fühlen. Jeder plauderte über Problemchen oder Sorgen, oder teilte die neuesten Erkenntnisse oder Befindlichkeiten mit. Und jeder tauchte durch alles Erzählte hindurch wie durch die Landschaft selbst: infolge des steten Gehens, und im Wechsel der Perspektiven auf Umwelt und Landschaft die positive körperliche Umsetzung gedanklicher Arbeit sofort erlebend.

Schon standen wir vor einem Zaun, in dem ein offenes Tor zum Betreten verbotenen Geländes verführte. Kurze Zeit später an der Bastei, die Aussicht genießend und aufatmend über dieses Erlebnis inmitten der getakteten Woche.

Die Homepage der Interessengemeinschaft: www.bastei-rothenstein.de
 
Äpfel und Snacks, Kaffee und für die Raucher manche Zigarette. Blicke ins Tal und gegenseitiges Fotografieren. Geschichten über die Orte, auf die wir sahen. Was in jenem einem Kinde Schlimmes widerfahren war, was der nächste bei seiner Flucht über die Grenze erlebte. Wie wir die Zeit sehen und was wir urteilen. Und immer wieder zwischendurch eine Freude, ein Witz oder Anekdote.
Nach einer Stunde ungefähr weiter in Richtung ehemaliger Gebäude, die auf der topographischen Karte des Gebiets von 1993 noch verzeichnet sind. Doch bis auf die Wege selbst, dazu einem sehr oft besuchten Kesselhaus, sowie den doppelten, manchmal dreifachen Zäunen mit Sicherheitsdraht, war nichts mehr zu sehen. Wir umrundeten den Schluss des Berges, indem wir zaunseitig abwärts und zum Grunde kommend nach Altendorf einbogen. In einem Graben eine zugewucherte Lore. In einem vermutlichen Jägerhaus chaotische Zustände. Ameisenlöwen unter einer Terasse, aber keine Ameisen zur Hand. Und im Hinaufgang durch einen Einschnitt wieder am Ausgangspunkt, um ein altes Schild im Handgepäck reicher, dass noch die ‚bildliche‘ Irgendwas verboten hatte. Außer einem ausgeräumten Stromhaus war nichts weiter zu sehen gewesen. Nichts weiter aber war, dass jeder Blick, den man während des Gehens in die Natur um sich herum erhaschte, und jeder Duft irgendwie berauschend war. Es war dann nicht nur der vom letzten Regen durchfurchte Weg aufwärts, nicht nur immer verschiedene Blicke auf durchleuchtetes Unterholz oder einen strahlenden Himmel – es war alles zusammen. Die Abertausend stimmigen Bilder und Eindrücke, das Bewusstsein um den bisherigen Weg und das bisher Gesprochene, eine perfekte Harmonie aller Stimmungen, die man in sich fühlen konnte. Es entstand dort, und es ist genau das, was einem in der Natur und beim Gehen widerfährt.
 
Wir schritten wieder in Richtung offenes Tal hinaus, und unser Wunsch, ein Plätzchen zur nächsten Rast zu finden, wurde belohnt. Ein kleines ‚Rasthaus‘: zwei Bänke, Tisch und Dach, mit dem Namen „Burgenblick“. Dazu ein Ehepaar aus Jena, das einen Garten rundherum angelegt hatte, und ihn bei unserer Pause weiter beackerte. Der Blick konnte weit schweifen: von der Nähe dieses offenen Gartens, unter einem trauten Dach hinaus über Bodenwellen und Wiesen und Buschgürtel auf fernere Hänge. Bis hin zur Lobdeburg und den ersten Häusern Jenas. Wir redeten mit den Gärtnern und erfuhren, warum nichts mehr von der Vergangenheit des Geländes zu sehen sei: weil eine flache Halde aus Bauschutt, wohl aus den Werksumbauten und Abrissen der Nachwendezeit, so von Schott und Zeiss aus Jena, die meisten Dinde abgedeckt hatte. Der Mann zeigte Geländekonturen und erklärte, dass es ungefähr zwei Meter auf den mehreren Hektaren seien, die aufgehäuft worden waren. Das Stromhäuschen kenne er, auch das Heizhaus, ja, und der Rest seien einzig noch Fundamente irgendwelcher Kasernen-‚Russen‘-Hütten im Wald. Dazu gab’s Nudeln mit Soße, Äpfel, Wasser – alles ein Gedicht, wenn man es nicht nur gekocht und getragen, sondern in solch einem Garten Eden essen kann. Und es habe eine Seilbahn gegeben (die Überreste vom Beginn?), an deren Seil die Schießscheiben durch das Tal gezogen worden seien. Alles abgesteckt und abgesucht habe der Minitionsbergungsdienst schon vor Jahren, doch nur bis an die Waldkante, obwohl in den Wald einiges hineingeflogen sein muss. Denn wenn es mal gebrannt habe, sei es mitunter, wenn es die Sowjetfeuerwehr nicht gelöscht habe, ausgeschossen worden. Als Erzählforscher sei mir der Hinweis an dieser Stelle gestattet, dass sich solche Geschichten sowohl zugetragen haben, als auch noch viel haarsträubendere – dass diese aber auch derart weitererzählt, also kolportiert werden, dass ihre Inhalte sich untereinander vermischen können, oder auch dort auftauchen, wo nie solches geschehen ist. Dass Bäume und Wälder an Hängen eines Schießplatzrandes voller Splitter sind, dass dieses Holz meist unverkäuflich ist, das ist für einige Übungsplätze nachgewiesen. Aber wie die Geschichte des Rothensteiner Schießplatzes ablief, wird an anderer Stelle berichtet.
 
Nach getaner Rast und frohgemut stürmten wir weiter, einfach vom Weg ab, weil wir in der Ferne Herkulesstauden (= Riesen-Bärenklau) gesehen hatten. Wir begannen, einige Pflanzen zu pflücken. Das war ein Scherz jetzt – nein wir unrundeten sie in gebührenden Abstand und fragten uns, ob es nicht vielleicht gar eine Meldepflicht gibt, wenn man diese irgendwo vorfindet. Einmal in Kontakt gekommen, kann sich eine schwere Photodermatitis bilden. Bilder der Pflanze und Verletzungen, sowie Gefahrenhinweise findet man im Internet.

Aber interessant war das Gelände, in das wir nun heineingekommen waren, aus einem weiteren Grund. Durch Überreste von Schienen und hölzere Schienenschwellen, tiefe Fahrspuren und zum Talgrund führende langgestreckte Wälle wussten oder vermuteten wir uns nun in der alten Panzerschießbahn. Gleise und Geländeformung waren in der 1993er Karte noch verzeichnet. Viele Tümpel und Betonreste, Haufen von durchrosteten Metall.
Am Schluss der Strecke, wieder Richtung Parkplatz, fanden unsere sensibilisierten Blicke wieder alte Stellungen, viele hölzerne Schwellen, alte Müllberge an Grabenrändern, wir waren nun ganz in der Geschichte gefangen, wie es wohl vor 20 Jahren dort ausgesehen haben mag. Und so beendeten wir nach ein paar Stunden den Weg, gestärkt, erfüllt, und voll der Versprechen, dass wir bald wieder gehen.

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